HME Poetik Dozentur Tübingen Montag

Am Montag war der Andrang an Zuhörern so groß, dass der „Audimax“ nicht ausreichte, um alle unterzubringen. Die Namensgebung machte vielleicht früher Sinn, als dies einer der größten Hörsäle war, aber heute studieren doch deutlich mehr Menschen, sodass „Audimäxchen“ es eher treffen würde.

Zum Glück war der Festsaal frei, sodass man dann kurzerhand in diesen umgezogen ist. Doch auch dieser reichte kaum aus um die Menschenmassen unterzubringen, die sich alle für Enzensberger interessierten, sodass manche hinter seinem Rednerpult auf der Tribüne Platz nehmen mussten.

Am ersten Tag der Poetik-Dozentur ging es um „Geschichte“ vs. „Geschichten“ und darum, wie sich das Schreiben über Geschichte von dem Schreiben einer Geschichte unterscheidet.
Beim Schreiben von „Geschichten“ erwecke man Geschichte zum Leben – als Beispiel nannte HME hier die Biographie.
Man müsse hier ähnlich eines Mosaikes verschiedene Lebensgeschichten zusammensetzen. HME hat sich vor allem auch für die Biographie von Clemens Brentano interessiert, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass HMEs Dissertation den Titel „Brentanos Poetik“ trägt.

Interessant war aber vor allem, dass er ihn neben Brentano selbst besonders dessen Frau interessiert hat. HME habe interessiert, was mit ihr los gewesen sei – sie habe sich am Ende sogar umgebracht und das, obwohl sie mit einem Dichter der Romantik verheiratet gewesen war. HME führte dann weiter aus, dass – Romantik hin oder her – sich beide ständig gestritten hätten. Das wisse man daher, dass sie sich im Streit immer kleine Zettelchen geschrieben hätten und so im Prinzip den Streit für die Nachwelt dokumentiert haben. HME meinte dann mit seinem verschmitzten Lächeln, dass er diese Zettel gefunden habe.

Danach ging es weiter mit einer Frage und einer tatsächlichen Vorlesung – im reinen Sinne des Wortes: „Nehmen wir an, sie hätten eine kluge Tochter im Alter von 25 Jahren…“
Und natürlich hat HME eine Tochter diesen Alters. Diese nimmt er nun zum Anlass darüber nachzudenken, welches Buch er ihr empfehlen würde, wenn sie beispielsweise etwas mehr über die Weimarer Republik wissen wollte. Zur Wahl stünde eine wissenschaftliche Abhandlung und ein Roman.
HME kommt dann zu dem Schluss, dass man natürlich von beidem ein bisschen brauche und Wissenschaft und Dichtung auf einander angewiesen seien und Aristoteles nicht auf dem neuesten Stand gewesen wäre, als er zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung einen Strich gezogen habe.

Um möglichst viel über Geschichte zu erfahren, brauche man natürlich Faktenwissen, aber man müsse auch die Gefühle oder die Stimmungen der Zeit erfahren können und das ginge nur mit Geschichten. Wer „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi nicht kenne, würde den Krieg Napoleons immer nur halb verstehen.
Beide, Wissenschaftler und Romancier, wären etwas neidisch auf einander. Der eine, weil der andere nicht nur harte Fakten präsentieren muss und eine gewisse Freiheit in seiner Darstellung hat, der andere auf den einen, weil man diesem in der Regel nicht falsches Verständnis der Fakten oder Ungenauigkeit vorwerfen würde. Während der Wissenschaftler das Recht habe uns zu langweilen, habe der Romancier das Recht von der Wahrheit abzuweichen. Wichtig wäre nur, dass man als Leser merke, wann das der Fall ist.

Zu guter Letzt bemerkt HME noch, was das Grundlegend tolle an Geschichte sei, selbst wenn man der Meinung wäre, sie wäre für nichts so gebrauchen : „Sie ist unterhaltsam“.

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