HME Poetik Dozentur Tübingen Mittwoch

Der Mittwoch stellte in der Woche der Poetik-Dozentur eine Art Spiegelachse dar – um es mit Tobias Worten zu sagen. Denn am Mittwoch dozierten HME und Dirk von Petersdorff gemeinsam, bevor dann am Donnerstag und Freitag Petersdorff alleine weiter machte. Auch hier wurde wieder der Raum gewechselt, weil der Festsaal dieses Mal belegt war. Wir sind daher extra 1h früher losgefahren und waren dann aber auch als eine der ersten dort. Tatsächlich waren aber 1h vor Vorlesungsbeginn schon ein paar andere Leutchen da.

Vom Schreiben über das Lesen ging es heute um das „Weiterschreiben„.
HME und Petersdorff lasen abwechselnd Gedichte verschiedener Lyriker vor und zeigten inwiefern sie die jeweiligen Gedichte inspiriert haben, eigene Gedichte zu ähnlichen oder auch gleichen Themen zu schreiben – wie sie also die Gedichte „weitergeschrieben“ haben. HME meinte zu Beginn, dass Originalität häufig überschätzt werde und eher eine moderne Idee sei. Sie wollten hier nun ein paar Tricks vorstellen , mit denen der Lyriker arbeitet: Anspielung, Zitat, Übersetzung, Negation, Plagiat.
So wurde beispielsweise aus Ludwig Uhlands „Schwäbischer Kunde“ HMEs „Türkischer Kunde“ oder aus Klopstocks elegischem Gedicht „Die frühen Gräber“ Petersdorffs elegisches Gedicht „Raucherecke“. Oder Rainer Maria Rilkes „Erste Dunieser Elegie“ wird komplett negiert und trotzdem merkt – bis auf ein paar Ausnahmen – niemand im Saal, dass dieses negierte Gedicht kein Rilke-Gedicht ist.
Als Abschluss zeigt Petersdorff noch auf, dass auch eine kleine Notiz schon ausreicht, um den Lyriker zu inspirieren. Gottfried Benn notierte sich wohl einmal „Ich bin nichts Offizielles. Ich bin ein kleines Helles.“ Petersdorff machte daraus das „Bierlied mit Benn“ – ein sehr lustiges Gedicht über die verschiedenen Biersorten.

Das Thema des Würth-Literaturpreises wurde übrigens auch an diesem Tag bekanntgegeben:

„Ein Ausflug zu dritt.“

Und damit schließt sich auch der Kreis, denn das ist der Untertitel zu dem am Sonntag auf der Lesung in der Kunsthalle Würth vorgestellen Gedichtband von HME „Blauwärts. Ein Ausflug zu dritt.“
Allen, die am Wettbewerb teilnehmen, wünsche ich viel Spaß und gute Ideen zu diesem Thema.

HME Poetik Dozentur Tübingen Dienstag

Am Dienstag hatte man sich im Festsaal schon eingerichtet – eine Leinwand war aufgestellt worden und die Sitzplätze auf der Bühne waren verschwunden.

Der Besucherandrang war ungebrochen und so war der Festsaal auch dieses Mal voll besetzt.

Während es am Vortag noch um das Schreiben von „Geschichte“  oder „Geschichten“ ging, wurde nun das Lesen zum Thema gemacht. Irgend jemand muss das Geschriebene ja auch schließlich lesen.
HME begann mit dem „Lob des Analphabeten“ und führte weiter aus, dass Alphabetismus nicht die Regel, sondern die Ausnahme sei, da jeder 3. Erdenbewohner nicht lesen könne. Er führte weiter aus, dass es ohne Analphabeten keine Literatur geben würde, wobei ich zugeben muss, dass mir hier die Argumentation abhanden gekommen ist. Wenn jemand, der auch dort war, das hier liest und HMEs Gedankengang verstanden hat, kann ja vielleicht einen kleinen Kommentar da lassen.

Das Erlernen des Lesens sei jedoch eng damit verbunden gewesen, dass Mitte des 19. Jhdts die allgemeine Schulpflicht eingeführt worden sei und die Menschen dann lesen lernen mussten, um sich auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Den Menschen das Lernen des Lesen zu ermöglichen war natürlich auch mit Gefahr verbunden – man wolle ja schließlich die Leute nicht unbedingt klüger machen – denn: „Wissen ist Macht“.
Noch im 18. Jhdt wäre das Lesen als eine Art Laster verschrien gewesen – ähnlich wie es heute das Rauchen sei. Wer einmal in jungen Jahren damit angefangen habe, komme nur sehr schwer wieder los. Enzensberger raucht übrigens selbst – und liest natürlich auch das ein oder andere Buch.
Nach seiner dieses Mal doch recht kurzen Vorlesung gab er uns allen noch etwas mit auf den Weg: Wir, die wir dem Laster des Lesens verfallen seien, sollten Ruhe bewahren.

Zum Abschluss hier von  mir noch ein kleines Foto von den Hallen in Tübingens Universität – da kann Stuttgart leider nicht mithalten:

HME Poetik Dozentur Tübingen Montag

Am Montag war der Andrang an Zuhörern so groß, dass der „Audimax“ nicht ausreichte, um alle unterzubringen. Die Namensgebung machte vielleicht früher Sinn, als dies einer der größten Hörsäle war, aber heute studieren doch deutlich mehr Menschen, sodass „Audimäxchen“ es eher treffen würde.

Zum Glück war der Festsaal frei, sodass man dann kurzerhand in diesen umgezogen ist. Doch auch dieser reichte kaum aus um die Menschenmassen unterzubringen, die sich alle für Enzensberger interessierten, sodass manche hinter seinem Rednerpult auf der Tribüne Platz nehmen mussten.

Am ersten Tag der Poetik-Dozentur ging es um „Geschichte“ vs. „Geschichten“ und darum, wie sich das Schreiben über Geschichte von dem Schreiben einer Geschichte unterscheidet.
Beim Schreiben von „Geschichten“ erwecke man Geschichte zum Leben – als Beispiel nannte HME hier die Biographie.
Man müsse hier ähnlich eines Mosaikes verschiedene Lebensgeschichten zusammensetzen. HME hat sich vor allem auch für die Biographie von Clemens Brentano interessiert, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass HMEs Dissertation den Titel „Brentanos Poetik“ trägt.

Interessant war aber vor allem, dass er ihn neben Brentano selbst besonders dessen Frau interessiert hat. HME habe interessiert, was mit ihr los gewesen sei – sie habe sich am Ende sogar umgebracht und das, obwohl sie mit einem Dichter der Romantik verheiratet gewesen war. HME führte dann weiter aus, dass – Romantik hin oder her – sich beide ständig gestritten hätten. Das wisse man daher, dass sie sich im Streit immer kleine Zettelchen geschrieben hätten und so im Prinzip den Streit für die Nachwelt dokumentiert haben. HME meinte dann mit seinem verschmitzten Lächeln, dass er diese Zettel gefunden habe.

Danach ging es weiter mit einer Frage und einer tatsächlichen Vorlesung – im reinen Sinne des Wortes: „Nehmen wir an, sie hätten eine kluge Tochter im Alter von 25 Jahren…“
Und natürlich hat HME eine Tochter diesen Alters. Diese nimmt er nun zum Anlass darüber nachzudenken, welches Buch er ihr empfehlen würde, wenn sie beispielsweise etwas mehr über die Weimarer Republik wissen wollte. Zur Wahl stünde eine wissenschaftliche Abhandlung und ein Roman.
HME kommt dann zu dem Schluss, dass man natürlich von beidem ein bisschen brauche und Wissenschaft und Dichtung auf einander angewiesen seien und Aristoteles nicht auf dem neuesten Stand gewesen wäre, als er zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung einen Strich gezogen habe.

Um möglichst viel über Geschichte zu erfahren, brauche man natürlich Faktenwissen, aber man müsse auch die Gefühle oder die Stimmungen der Zeit erfahren können und das ginge nur mit Geschichten. Wer „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi nicht kenne, würde den Krieg Napoleons immer nur halb verstehen.
Beide, Wissenschaftler und Romancier, wären etwas neidisch auf einander. Der eine, weil der andere nicht nur harte Fakten präsentieren muss und eine gewisse Freiheit in seiner Darstellung hat, der andere auf den einen, weil man diesem in der Regel nicht falsches Verständnis der Fakten oder Ungenauigkeit vorwerfen würde. Während der Wissenschaftler das Recht habe uns zu langweilen, habe der Romancier das Recht von der Wahrheit abzuweichen. Wichtig wäre nur, dass man als Leser merke, wann das der Fall ist.

Zu guter Letzt bemerkt HME noch, was das Grundlegend tolle an Geschichte sei, selbst wenn man der Meinung wäre, sie wäre für nichts so gebrauchen : „Sie ist unterhaltsam“.